Aufruf

Bückeburg – Braune Scheiße steigt nach Oben

Die Stadt Bückeburg mit Sitz des niedersächsischen Staatsgerichtshof liegt im Landkreis Schaumburg. In diesem Landkreis konnten über Jahrzehnte hinweg neonazistische Gruppen und Strukturen meist ungestört agieren und sich verfestigen. So finden in der Nähe auch jährlich die Aufmärsche von Neonazis in Bad Nenndorf statt, organisiert von rechten Strukturen in Ostwestfalen, Minden und Schaumburg. Initiator Markus Winter und andere Kader nutzen diesen Event um aktionsorientierte Jugendliche in Schaumburg in die Arbeit des nationalen Widerstands einzubinden. 2008 formierten diese militanten Kader junge Neonazis zur „Aktionsgruppe Bückeburg“. Die Mitglieder der Kameradschaft kamen auch aus anderen Gemeinden des Landkreises. Auf viele Jugendliche wirkte die rechte-Szene, mit ihrem Auftreten als “Autonome Nationalisten“, anziehend (diese übernehmen bewusst das Auftreten und die Aktionsformen der linken autonomen Bewegung). An den Schulen begann die rechte Szene zu dominieren und andersdenkende Jugendliche wurden in und nach der Schule bedroht. Vor allem in Bückeburg gelang es den Neonazis eine “Vormachtstellung“ auszubauen.

Erfahrene Neonazi-Kader nutzten die Situation und organisierten ideologische Schulungen und Feierlichkeiten zur Festigung ihres braunen Netzwerkes. Im Jahr 2011 gründeten sich dann die “Autonomen Nationalisten Bückeburg“. Damit änderte sich auch die Qualität der Aktionen aus der rechten Szene. Mit ihrer gewaltorientierten Lebensanschauung erlangten sie in Bückeburg kulturelle Hegemonie. Gestärkt durch die Sympathien vieler Jugendlicher, setzten sich die politischen Aktionen mit steigender Qualität und Militanz fort. Im öffentlichen Raum setzte sich die Gewalt der Neonazis gegen Antifaschist_innen und Andersdenkende durch. Die Innenstadt wurde zu einer “No Go Area“ für viele Jugendliche. In der Stadt und den Nachbargemeinden fuhren die Neonazis Streife und machten Jagd auf Antifaschist_innen. Unter anderem wurden Wohnhäuser nachts mit Stahlkugeln beschossen, Autos demoliert und tätliche Übergriffe gehörten zum Alltag in der Kleinstadt. Trotz Verständigung, schickte die Polizei bei den Übergriffen auf Wohnhäuser nicht einmal einen Streifenwagen zum Ort des Geschehens, ebenso wurden keine Beweismittel gesichert. Stattdessen wurde sich damit beschäftigt die Zahl linker Straftaten hervorzuheben. Die wenigen eingeleiteten Verfahren wurden durch die Staatsanwaltschaft meist mit der Begründung eines zu hohen polizeilichen Ermittlungsaufwands, die Täter festzustellen, eingestellt.

Bückeburg: „Demokratie – Toleranz – Vielfalt“?

Polizei und Stadtverwaltung interpretierten die Vorfälle weitaus anders. Am Anfang wurde die Existenz einer rechten Szene komplett abgestritten, um sie später als Jugendbande darzustellen. Als das Agieren der Neonazis von der Öffentlichkeit wahrgenommen wurde – es gründeten sich Elterninitiativen und es gab Presseberichte – und Polizei und Stadtverwaltung das akute Problem nicht weiter leugnen konnten, wurde die Gewalt der Neonazis mit dem antifaschistischen Widerstand gleichgesetzt. Die Konflikte fänden zwischen rechts- und linksextremistischen Jugendlichen statt. Unbeteiligte seien davon nicht betroffen. Der Stadtrat formierte sich unter der Extremismustheorie und sprach sich gegen jegliche Form des Extremismus aus. Diese Auslegung machte aus den Opfern rechter Gewalt, die Verursacher derselben. Die Neonazis wären somit nicht Ursache, sondern Opfer der Eskalation. So gelang es Polizei und Stadtrat eine Solidarität und einen breiteren antifaschistischen Konsens zu vereiteln.
Innerhalb der rechten Szene wurde Bückeburg währenddessen so attraktiv, dass Neonazis aus anderen Regionen hinzuzogen. Der Druck auf linke Jugendliche wuchs weiter.

„Bückeburg muss sterben….“

Ab 2012 organisierten sich die jungen Antifaschist_innen und leisteten dem rechten Konsens Widerstand. Sie machten durch Pressearbeit und Demonstrationen auf ihre Lage aufmerksam. Infolge dessen verbesserte sich die Situation, alternativen Jugendlichen war es möglich sich freier in der Innenstadt zu bewegen, den Neonazis konnte der Aktionsraum (zu einem großen Teil) genommen werden. Gleichzeitig merkte das Umfeld der rechten Szene an den Schulen, dass sie sich nicht ohne Konsequenzen im Fahrwasser der Neonazis bewegen können. Somit konnte durch dass antifaschistischem Engagement, eine weitere Einbindung von Jugendlichen in die Nazistrukturen, unterbunden werden.

Im Zuge des Antifaschistischen Selbstschutzes, wurden auch die Repressionen gegen Antifaschist_innen erhöht. Polizei und Staatsanwaltschaft reagierten mit einer “Null Toleranz Linie“ gegen Antifaschist_innen. So wurde zum Beispiel das Tragen von T-Shirts mit der Aufschrift “FCK CPS“ durch das Amtsgericht Bückeburg unter Strafe gestellt und die Stadtverwaltung belegte Jugendliche mit rechtswidrigen Aufenthaltsverboten für das gesamte Stadtgebiet. Im Sommer 2013 patrouillierte die örtliche Polizei unterstützt durch Züge der Einsatzhundertschaft Hannover am Wochenende intensiv durch Bückeburg. Vor allem bei linken Jugendlichen wurden dabei Anhaltspunkte für eine Kriminalisierung gesucht.
Während die Polizei rechte Angriffe also gar nicht oder nur halbherzig verfolgten (wie oben beschrieben), wurden Schikanen, Provokationen und Übergriffe gegenüber Antifaschist_innen von Seiten der Polizei zum Alltag.
Aus einer grundsätzlichen Ablehnung eines antifaschistischen Selbstverständnisses, wurde der Bückeburger Stadtgemeinschaft, die Gewalt der Neonazis als eine Resonanz auf die Existenz eines antifaschistischen Widerstands verkauft. So wurden die Neonazis verharmlost und Antifaschist_innen kriminalisiert.

Kampf den Nazis! Kampf dem Staat!

Ein solches systematisches Herunterspielen des “Neonazi-Problems“ und die Kriminalisierung antifaschistischen Widerstandes, so wie es in Bückeburg sei Jahren geschieht, kommt jedoch nicht von irgendwoher.

Während das deutsche Asylrecht 2014 weiter verschärft wird, die Grenzen um Europa immer stärker abgeschottet werden und tausende Menschen im Mittelmeer ertrinken, häufen sich die Angriffe auf existierende oder geplante Flüchtlingsunterkünfte durch Neonazis und Rassist_innen. Im Jahr 2014 konnten bundesweit über 80 Angriffe gezählt werden. Aber damit nicht genug: Wöchentlich finden in Deutschland Neonaziaufmärsche statt und Hakenkreuzschmierereien und rechte Parolen gehören nicht nur in Bückeburg zum Straßenbild. Pöbeleien und Übergriffe gegen alle, die nicht in das Weltbild von einem „reinen Deutschland“ passen, bis hin zu politischen Morden sind an der Tagesordnung. Seit 1990 wurden mindestens184 Menschen Todesopfer rechter Gewalt – die Dunkelziffern ungeachtet. All das zeigt, Nazis sind an allen Orten der Gesellschaft eine Gefährdung für Menschen, die nicht in ihr menschenverachtendes Weltbild passen. Dabei sind sie nur die konsequente Fortsetzung einer bürgerlichen Politik und des spaltenden Stammtisch-Rassismus. Fordert der „besorgte Bürger“ noch, der Staat möge etwas gegen die Flüchtlinge unternehmen, erledigt der Neonazi das gleich selbst. Trotz des Bedrohungsszenarios, das Neonazis für Migrant_innen und viele andere darstellen, ist ein treibender Akteur des Rassismus in Deutschland der Staat. In umfassendem Ausmaß betreibt er eine mörderische Politik der Abschreckung, gegen alle, die hier Asyl suchen.

Das Jahr 2015 fängt an, wie das letzte aufgehört hat: die äußerste Rechte ist im Aufwind. Wir sehen uns immer stärker werdenden Neonazis und faschistischen Strukturen gegenüber. In ganz Europa formieren sich faschistische und rechtspopulistische Bewegungen, wie die Swoboda-Partei in der Ukraine, die „Goldene Morgenröte“ in Griechenland, die Jobbik-Partei in Ungarn, die Front National in Frankreich, die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ), der Vlaams Belang in Belgien. Zur selben Zeit tarnen sich in Deutschland Rechtspopulisten der „Alternative für Deutschland“ (AfD) als harmlose Euro-Gegner und rechte Fußball-Hooligans marschieren gemeinsam mit Neonazis unter dem Stichwort „Hooligans gegen Salafisten“ (HogeSa) zu tausend in bundesdeutschen Großstädten auf. Im Oktober 2014 fand sich in Dresden eine Bewegung zusammen, die die gleichen inhaltlichen Standpunkte wie „HogeSa“ vertritt, allerdings mit einem bürgerlichen Image. Unter dem Namen „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ (PEGIDA) wurde der Protest gegen eine angebliche Islamisierung in vermeintlich friedliche Bahnen gelenkt. Begleitet werden diese Kundgebungen durch eine deutliche Zunahme rassistischer und neofaschistischer Gewalt – insbesondere gegen Muslima und Flüchtlinge.

Dass faschistische Gewalt und staatlicher Terror zwei unzertrennliche Elemente sind, zeigten die Pogrome in Hoyerswerda 1991, Rostock-Lichtenhagen und Mannheim-Schönau 1992 oder die Morde des „Nationalsozialistischen Untergrundes“ (NSU) und die Verstrickung des Staates darin nur zu deutlich. Plötzliche Todesfälle von wichtigen Zeug_innen und die konstanten Vertuschungsversuche staatlicher Stellen, zeigen, dass auch hier keine (staatliche) Aufklärung zu erwarten ist. Die Überwachungs- und Repressionsbehörden gehen letztlich gestärkt aus dem größten Geheimdienstskandal in der BRD heraus.

Auf jeden konsequente Widerstand gegen faschistische Gewalt, antwortet der Staat früher oder später mit Repression – so auch in Bückeburg. So wird immer wieder deutlich, wer auf welcher Seite steht. In einem Land, wo vor 70 Jahren noch die Nazis an der Macht waren, gilt es heute als Durchsetzung des „demokratischen Pluralismus“, Neonazis von der Polizei den Weg freiprügeln zu lassen. Mit Festnahmen, Gerichtsverfahren, Haftstrafen, willkürlichen Personenkontrollen, Platzverweisen und Hausdurchsuchungen geht die Polizei dabei nicht gegen die Nazis vor, sondern gegen Antifaschist_innen, die sich der neonazistischen Gewalt zur Wehr setzen.

Konsequenter Antifaschismus ist legitim und notwendig!

Das alles bestätigt nur, was wir längst schon wussten und was sich nun in Bückeburg wieder zeigt: Der antifaschistische Kampf kann nicht gemeinsam mit dem Staat geführt werden – sondern nur gegen ihn. Denn der Staat bringt als Teil des Problems Verhältnisse hervor in denen Menschen ausgebeutet, unterdrückt, eingesperrt und abgeschoben werden. Neonazistische Ideologien von Nation und Rasse werden durch ein Verbot auf rechtlicher Ebene nicht aus der Welt verschwinden. Denn sie knüpfen an Existenzängste an, die viele Menschen in dieser kapitalistischen, auf Arbeitszwang beruhenden Konkurrenzgesellschaft haben. Um neonazistischen Ideologien und Taten ein Ende zu bereiten, müssen die gesellschaftlichen Grundlagen wie Staat, Nation oder die Kapitalherrschaft überwunden werden. Konsequenter Antifaschismus im Sinne eines antifaschistischen Selbstschutzes ist dabei unumgänglich, notwendig und legitim: Es braucht aktive Menschen, die sich bewusst und tatkräftig gegen Nazis zur Wehr setzen.

Der Kampf ist noch nicht vorbei!

Auch wenn die Intervention der Antifa-Zusammenhänge für mehr Sicherheit und Bewegungsfreiheit für alternative Jugendliche in Bückeburg sorgten, treten die Neonazis in Bückeburg nach wie vor in Erscheinung. Im letzten Jahr geschah dies allerdings nur noch in organisierten Großgruppen. Bei diesen Anlässen versuchten sie gezielt Antifaschist_innen im öffentlichem Raum anzugreifen. Es besteht also noch jede Menge Handlungsbedarf, antifaschistischer Selbstschutz ist wichtig wie eh und je.

Zudem kündigt sich für das Jahr 2015 nun eine weitere massive Kriminalisierung des antifaschistischen Widerstandes vor dem Landgericht Bückeburg an. In mehreren Sammelprozessen, die voraussichtlich Ende März und im Juni stattfinden werden, sollen mehrere Antifaschist_innen „zur Verantwortung gezogen werden“.

Eine solche Kriminalisierung durch die staatlichen Repressionsorgane darf nicht als ein Angriff auf die einzelnen Betroffenen verstanden werden – sie ist ein Angriff auf uns alle und dient nur dazu, linke Politik auf eine rein strafrechtliche Ebene zu ziehen und damit zu entpolitisieren. Daher gilt es solidarisch mit den Betroffenen zu sein, ihnen zur Seite zu stehen und sie finanziell zu unterstützen. Darüber hinaus müssen Strukturen gestärkt werden, die solchen Angriffen von Polizei und Justiz standhalten und zurückschlagen können. Nutzen wir den bevorstehenden Prozess, um auf die derzeitige Situation in Bückeburg aufmerksam zu machen, gehen am 18.04.2015 gemeinsam auf die Straße und zeigen, dass wir uns nicht einschüchtern lassen – weder von Nazis, noch von der Justiz!

Kommt zu den Prozessen! Kommt zur Demonstration! Zeigt Solidarität!