Bericht der Prozessbegleitung und Zusammenfassung zum Prozessgeschehen des ersten Sammelprozesses in Bückeburg
Obwohl der erste Sammelprozess in Bückeburg nun schon ein paar Wochen zurückliegt und gerade der zweite Komplex abgeschlossen wurde, wollen wir es uns als Kampagne und Betroffene nicht nehmen lassen, den ersten Komplex der Sammelprozesse nachzubereiten. Den Hintergrund der Prozesse stellt ein jahrelanges Herunterspielen der tatsächlichen Gefahr von Rechts in der Region Schaumburg dar. Gleichzeitig wurde durchgängig antifaschistische Politik kriminalisiert. Im Zuge dessen kam es immer wieder zu Anzeigen durch Neonazis und Polizei gegen linke Jugendliche.
Dazu kann Genaueres im Aufruf, im Artikel der Roten Hilfe-Zeiung und im Antifaschistischen Infoblatt nachgelesen werden.
Eingangs stellen wir eine knappe Zusammenfassung der Prozesstage dar, damit im weiteren Verlauf die inhaltlichen Schwerpunkte besser nachvollzogen werden und in einen Kontext gesetzt werden können.
1.Tag
Der erste Prozesstag beinhaltete hauptsächlich Anträge der Anwaltschaft der sechs Angeklagten und Justizgeplänkel. So regte die Staatsanwaltschaft dazu an, die Öffentlichkeit vom Prozess auszuschließen, was aber strikt abgelehnt wurde. Des Weiteren wurde die Anklage verlesen und seitens der Verteidigung ein Befangenheitsantrag gegen die Kammer gestellt, aber keine Zeug*innen gehört.
2.Tag
Durch den am ersten Tag gestellten Befangenheitsantrag und einem erneutem Befangenheitsantrag gegen die Kammer, die gegen den ersten Befangenheitsantrag entscheiden sollte wurde der Beginn dieses Prozesstages bis auf 17 Uhr aufgeschoben.
Am Ende des Tages wurden beide Anträge abgelehnt und die Nazi-Zeugen „abbestellt“.
3.Tag
Der dritte Prozesstag startete mit noch strengeren Auflagen, für alle Prozessbeobachter*innen am Eingang. Im ersten Teil der Verhandlung ging es wieder um Anträge seitens der Anwaltschaft. Im zweiten Teil wurden die ersten Zeug*innen gehört, die das Geschehen aus einem Fast Food Restaurant beobachteten. Anschließend verlas ein Anwalt noch ein ausführliches Statement, welches chronologisch die Übergriffe und Aktionen des rechten Spektrums in den Jahren 2010 bis 2012 schilderte. Die Schilderungen verdeutlichen wie Stadtpolitik und Polizei, das von den Antifaschist*innen benannte „Naziproblem“ bagatellisierten. Der Richter erkundigte sich anschließend nach der aktuellen Situation. Danach wurde ein Befangenheitsantrag gegen einen Schöffen gestellt, da er während des Verlesen des Statements immer wieder für ca. 30 Sekunden die Augen geschlossen hielt – genauer gesagt wegnickte. Nach einer Beratung der Kammer wurde das Schließen der Augen als Form von Konzentration begründet. Im letzten Teil des Prozesstages wurde der Hauptbelastungszeuge L. Steinke gehört. Er gab jedoch an, dass er sich nicht mehr an seine Aussage bei der Polizei erinnern könne und damals sogar bewusst gelogen hat, da er sich dem Druck von seinen damaligen Kameraden gebeugt hatte. Die Lüge umfasste folgende Sachverhalte: Die Belastung von zwei Angeklagten, bezogen auf den Einsatz von Pfefferspray und die Bezeugung des bewusst durchgeführten versuchten „Schwangerschaftsabbruch“. Er gab weiterhin an, dass er versucht hatte seine Aussage bei der Polizei zurückzunehmen – erfolglos. Dazu später im Text mehr.
4.Tag
Die Aussage von dem Hauptbelastungszeugen L. Steinke, der seine Lügen selber aufgedeckt hatte, führte zu der Einstellung des Verfahrens gegen zwei der sechs Angeklagten. Ein guter Start in einen Prozesstag an dem noch drei weitere Zeug*innenaussagen gehört werden sollten. Der erste war Zeuge T. Teichmann der lange befragt wurde. Dabei kam das pikante Detail heraus, dass er im Krankenhaus von der Polizei Besuch bekommen hat. Die Polizei kam mit dem vermeintlichen Tatwerkzeug, einer Bratpfanne, und legte es dem Zeugen T. Teichmann als „mögliche“ Waffe vor, mit dem die dumpfen Schläge erzeugt worden sein „könnten“, der er abbekommen habe soll. T. Teichmann tat anschließend so, als wäre er selber zu der Überzeugung erlangt, ohne den Polizeibesuch, die Bratpfanne in der Akte auftauchen zu lassen. Als zweiter Zeuge sagte P. Hühn aus. Er verwickelte sich in Widersprüche und seine Unsicherheit war ihm deutlich anzumerken. Irgendwann gab er dann schlussendlich zu, dass auch er bei seiner polizeilichen Aussage beeinflusst wurde. Der Zeuge wurde daraufhin entlassen und konnte nicht zur Aufklärung beitragen, außer das deutlich wurde, wie die Nazis damals gelogen haben, um ihre politischen Gegner mit Repression zu überziehen.
Dann folgte die Aussage der Neonazi-Aktivistin A. Vaupel, auch hier zeigte sich ein Widerspruch und die Verhandlung wurde unterbrochen. Daraufhin wurde das Verfahren gegen drei weitere Angeklagte eingestellt. Nun saß nur noch ein Genosse auf der Anklagebank.
5.Tag
Von den eigentlich sieben angesetzten Prozesstagen, sollte sich dieser als der letzte herausstellen. Für uns Prozessbegleiter*innen mit einer hohen schauspielerischen Leistung von A. Vaupel. Diese gab an, sie hätte einen Tag nach ihrer letzten Aussage vor dem Gericht eine Droh-SMS aus einer Telefonzelle bekommen, ganz in dem Sinne: Sagst du weiter aus, outen wir dich und deine ganze Familie. Die SMS kam übrigens ganz sicher von „der Antifa“. Auch ist ihr dann wieder eingefallen, dass P. Hühn ihr während des letzten Prozesstages im Zeugenschutzraum erzählt hätte, dass L. Steinke ihr eine SMS geschrieben hätte mit dem guten Rat, falsch vor Gericht auszusagen, also zu sagen, dass seine Aussage bei der Polizei falsch gewesen sei. Nur so würde „die Antifa“ ihn in Ruhe lassen. Während dieses Gespräches soll auch T. Teichmann mit im Raum gesessen haben, sowie drei Justizbeamt*innen. Generell hat A. Vaupel alles versucht, um die Zugabe von L. Steinke und P. Hühn, sie hätten eine Falschaussage bei der Polizei gemacht, um die Antifascht*innen zu belasten, als Lüge darzustellen. L. Steinke sei bedroht worden und was nicht noch alles. Letztendlich verwickelte sie sich nur mehr und mehr in Widersprüche und belastete damit auch ihren Gesinnungskameraden T. Teichmann. Bisher kam es zu keiner Konsequenzen dieser Falschaussagen.
Im weiteren Verlauf des Prozesstages stellte sich zudem heraus, dass A. Vaupel entgegen vorheriger Aussagen mit dem Zeugen T. Teichmann während des Prozesses Kontakt hatte und mit ihm eventuell relevanten Inhalt besprochen habe könnte. Nachdem sie deutlich verunsicherter agierte, ermahnte der Richter A .Vaupel bei der Wahrheit zu bleiben. Die Entwicklung der Aussage von A. Vaupel führte zu einem Rechtsgespräch, welches zur Folge hatte, dass auch gegen den letzten Angeklagten das Verfahren vorläufig eingestellt wurde mit der Auflage 100 Sozialstunden abzuleisten.
Zunächst wollen wir aufzeigen, welche grundsätzlichen Probleme sich mit der justiziellen Prozessführung in Bückeburg ergeben haben. So wurde die Anklage, zunächst Ende 2013 durch die Staatsanwaltschaft Bückeburg erhoben und an den Jugendrichter des Amtsgerichts in Bückeburg übergeben. Was dann folgte, war ein ständiges Weiterschieben des Verfahrens, bis der Prozess letztendlich im Herbst 2015 vor dem Landgericht Bückeburg eröffnet wurde. Der betroffene Richter hatte nämlich auf Grund einer Verfahrensbündelung das Verfahren der großen Jugendkammer – also dem Landgericht übergeben. Die Begründung für dieses Hin- und Herschieben war der besondere Umfang der angesammelten Anklagepunkte, die ähnliche Sachverhalte betreffenden Vorwürfe, die personellen Überschneidungen der Angeklagten und die Tatsache, dass eine Terminierung der Prozesse vor dem Amtsgericht erst frühestens im letzten Quartal 2014 möglich sei. Trotz zahlreicher Einwände der Betroffenen und deren Verteidigung die Sachverhalte vor dem Landgericht zu verhandeln, wurde die Übernahme durch selbiges im August 2014 beschlossen und eine erste Terminierung des Verfahrens wurde auf den Sommer 2015 gelegt, später jedoch auf November 2015 verschoben – also zwei Jahre später.
Dies erscheint einigen vielleicht als nebensächliches justizielles Geplänkel, doch vor dem Hintergrund der verstreichenden Zeit zwischen den angeblichen Taten bis hin zur Prozesseröffnung, den ständigen Änderungen hinsichtlich der angeklagten Personen und der unverständlichen Übergabe der Verfahren an eine höhere Instanz, müssen wir an dieser Stelle ganz klar Kritik äußern. Weder erwies sich die Begründung der Abgabe an die große Jugendkammer zum möglichst zeitnäheren Verhandlungsbeginn als nachvollziehbar, noch wurde die angeblich einheitliche und gemeinsame Verhandlung aller Vorwürfe verfolgt. Wie dargestellt, erfolgte eine wesentlich spätere Verhandlungseröffnung als sie angeblich vor dem Amtsgericht möglich gewesen wäre und die unterschiedlichen Tatvorwürfe wurden, anstatt sie zu bündeln, in drei Verhandlungskomplexe unterteilt. Der letzte Komplex ist bis dato nicht einmal terminiert.
Was bleibt, ist also ein Instanzensprung. Dieser nimmt durch die bereits in erster Instanz stattfindende Prozessführung vor dem Landgericht, den Angeklagten eine Tatsacheninstanz. So bleiben diesen damit nur noch ein Rechtsmittel, anstatt zwei, nämlich das Revisionsverfahren und keine Berufung. Zudem macht eine solches Handeln auch das verfassungsrechtliche Gebot, einer unnötigen Verfahrensverzögerung entgegen zu wirken und damit einer weiteren Kriminalisierung der Angeklagten entgegenzuwirken, sowie eine vollständige Aufklärung voranzutreiben, zu einer Farce. Des Weiteren kommt hinzu, dass es sich bei den Verfahren in Bückeburg, um nach Jugendstrafrecht zu verhandelnden Komplexe handelt. Im Jugendstrafrecht kommt dem generellen Beschleunigungsgrundsatz von Verfahren eine besondere Bedeutung zu. Die Sanktionen werden dabei nämlich mit dem Ziel der Erziehung und der sozialen Integration verhängt. Dies ist nach 2, 5 Jahren nach der angeblichen Tat und einer maßgeblichen Veränderung der Lebensumstände nicht mehr möglich. Also warum überhaupt der ganze Aufriss?
Wenn man der Verteidigung am ersten Prozesstag richtig folgen konnte, warfen diese der Kammer nicht nur oben genanntes vor, sondern weiterhin auch noch eine Vorverurteilung und Diskriminierung der Angeklagten. Auch diesem wollen wir uns anschließen. Denn ein weiterer Teil der Begründung der Abgabe des Verfahrens an das Landgericht beinhaltet folgendes: Es wird zumindest einigen Angeklagten in diesem Fall eine „amtsbekannte Führungsrolle der Bückeburger linken Szene“ angelastet und alle Taten werden in den Zusammenhang mit dem „zunehmend militanten ‚Links-Rechts-Konflikt‘ “ gestellt und es wird von einer „bandenmäßigen Verbundenheit der Beschuldigten und derer Tatmotivationen“ gesprochen. Laut der Verteidigung gibt es aus der Aktenlage aber keine Hinweise für eine solche Unterstellung.
Die im Raum stehenden Vorwürfe, vor allem der vermeintliche Schwangerschaftsabbruchsversuch, wurden seit nun mehr drei Jahren dafür instrumentalisiert, in Bückeburg gegen Antifaschist*innen zu hetzen, diese zu denunzieren und zu stigmatisieren. Zufälligerweise immer dann, wenn rechte Gewalt thematisiert wurde. Genau dieser Vorwurf des versuchten Schwangerschaftsabbruches hat sich im ersten Komplex der Sammelprozesse als haltlose und bloße Strategie der Neonazis zur Belastung von Antifaschist*innen herausgestellt. Auch war es genau dieser Punkt, an dem die Neonazizeugen teilweise zugaben bei der Polizei bewusst gelogen zu haben, um den betroffenen Antifaschisten zu belasten. Dass die Bückeburger Stadtgesellschaft genau mit dieser Farce (nämlich einem Nicht-aufgeklärtem Vorwurf) jahrelang Politik gemacht hat, ist skandalös. Gilt es nicht im Normalfall so, dass zunächst von der Unschuld eines Täters ausgegangen werden sollte, bis die Schuld nachgewiesen ist? Dies war in Bückeburg durch die Medien und die Politik definitiv nicht der Fall – wie auch, wenn selbst die Polizei generell gar nicht von einer Unschuld ausgeht und auch nicht zur Entlastung, sondern nur zur Belastung ermittelt?! Auf eine öffentliche Richtigstellung von genannten Kreisen werden wir wohl lange warten.
Als skandalös stellte sich während des Prozesses auch die Arbeit der Polizei heraus. Nicht das wir die Arbeit der Polizei jemals „richtig“ gefunden hätten. Es stellte sich unter anderem beim 3. Prozesstag heraus, dass nicht nur unabhängigen Zeug*innen, nämlich den Mitarbeiter*innen vom „Kochlöffel“ in den Aussagen bei der Polizei offensichtlich Begriffe in den Mund gelegt worden waren. So wurde z.B. in den Aussagen der Mitarbeiter*innen einer der Angeklagten stets als „Rädelsführer“ bezeichnet. Auf Nachfrage der Verteidigung konnten dieselben Zeug*innen den Begriff jedoch weder erklären, noch kannten sie ihn überhaupt. Es ist daher davon auszugehen, dass dieser Begriff so von der Polizei auf Grund eigener Wertungen gewählt und niedergeschrieben wurde.
Im Verlauf des Prozesses stellte sich bei den Neonazizeugen L. Steinke und P. L. Hühn heraus, dass sie bei der Polizei bewusst falsch ausgesagt haben, um die Antifaschist*innen zu belasten. Dies taten sie nach eigener Aussage auf Anraten und Druck „älterer“ Neonazis. Die Zugabe der gezielten Falschaussagen als Form einer „Anti-Antifa Arbeit“ bestätigte die Unglaubwürdigkeit der Aussagen der „Hauptbelastungszeugen“ T. Teichmann und A. Vaupel und brachte die Anklage der Staatsanwaltschaft massiv ins Wanken. So belastete L. Steinke sich trotz Belehrung selber vor Gericht, in dem er sagte, dass er Pfefferspray auf einen der angeklagten Antifaschisten gesprüht habe, obwohl dieser ihn nicht mal angegriffen hatte. Er hätte dies als Vorsichtsmaßnahme getan und dann bei der Polizei angegeben, dass der Antifaschist mit dem Pfeffer auf ihn gezielt hätte, aber das Pfefferspray falsch rum (also in die eigene) Richtung gehalten hätte. L. Steinke betonte, dass es ja eigentlich unlogisch wäre sich selber mit Pfefferspray zu besprühen, da ein Pfefferspray ja extra eine Vorrichtung hat, damit eben dies nicht passiert. Zu dieser Erkenntnis hätte, unserer Meinung nach, auch eine gründlich ermittelnde Polizei und Staatsanwaltschaft kommen können. L. Steinke sagte des Weiteren aus, dass er seine Aussage bei der Polizei als Falschaussage klarstellen wollte, aber von selbiger nicht ernst genommen wurde. Er sei mehrfach auf dem Kommissariat gewesen, um seine Aussage zurückzuziehen und richtigzustellen. Doch die Beamt*innen schickten ihn mit der Aussage, man würde sich bei ihm melden wieder nach Hause. Dies geschah jedoch nicht, so dass die ursprüngliche Aussage, die der Zeuge im Prozess selbst als Falschaussage kennzeichnete, bis jetzt bestehen blieb. Die Bückeburger Polizei hätte also schon im Vorfeld etwas zur Entlastung der Antifaschist*innen tun können, nahm jedoch die Stigmatisierung und Kriminalisierung der selbigen in Kauf. Oh Wunder.
Des Weiteren offenbarte sich die Arbeit der Polizei im Zusammenhang mit dem vermeintlichen Hauptbeweisstück in Form einer gewissen Bratpfanne als fragwürdig. Einer der Antifaschisten soll diese als Tatwerkzeug benutzt haben. Es stellte sich jedoch heraus, dass das vermeintliche Opfer die Bratpfanne gar nicht selber als Tatwerkzeug erinnern konnte. Viel mehr war es so, dass die ermittelnden Beamt*innen die Bratpfanne nach der Auseinandersetzung zu dem vermeintlichen Opfer ins Krankenhaus gebracht und diese als Tatwerkzeug benannt haben. Um es an dieser Stelle noch einmal zu betonen, die Beamt*innen der Polizei sollen hierbei nicht etwa fragend ermittelt haben, in dem sie sich erkundigen, ob und wenn ja, in welchem Zusammenhang, es sich bei der Bratpfanne um eine Tatwaffe handele, sondern die Pfanne dem vermeintlich geschädigten T. Teichmann direkt als Tatwerkzeug benannt haben – ganz nach dem Motto: „Hier, damit wurde dir auf den Kopf geschlagen“. So fiel es Teichmann nicht schwer die Version der Polizei zu übernehmen. Die Situation beschreiben, als ihm die Bratpfanne auf den Kopf gehauen worden sein soll, konnte er jedoch nicht. So gab er schließlich selber zu, gar nicht gesehen zu haben, wie der Beschuldigte die Bratpfanne als Tatwaffe verwendete. Er habe die Pfanne lediglich später auf dem Boden liegen sehen und „kombiniert“.
Schon lange ist es eine bekannte Strategie und besondere Form der „Anti-Antifa-Arbeit“ der Neonazis Anzeigen, gegen vermeintlich Linke zu stellen. So wurden die kleinsten und skurrilsten Sachverhalte zur Anzeige gebracht, so zum Beispiel sämtliche Beleidigungen oder das angebliche „Überschütten mit Kakao“ (siehe Verhandlungskomplex II). Letzteres wird tatsächlich vor dem Landgericht verhandelt. Auch Auseinandersetzungen, die von Neonazis selber ausgingen, wurden zur Anzeige gebracht oder, falls eine Anzeige gegen Neonazis bestand, eine Gegenanzeige gestellt. Die Polizei zog aus dieser Strategie folgenden Schluss: Die „Rechten“ in Bückeburg seien kooperativ und arbeiten mit der Polizei zusammen und die „Linken“ arbeiten generell gegen die Polizei und den Staat.
Die Anzeigen hatten für die Neonazis einige Vorteile. So stellte man sich selbst primär als Opfer von linker Gewalt dar und für den Fall, dass es tatsächlich zu Ermittlungen kommen würde, konnten gezielt Adressen und Zusammenhänge abgegriffen werden und es konnte dargestellt werden, wie gewaltbereit die linke Szene in Bückeburg angeblich sei.
Dass man dafür gezielt zu Falschaussagen griff, zeigt nur noch einmal deutlich, wie weit die Neonazis in der Region Schaumburg gehen und wie sehr sie die internen Hierarchien ausnutzen. Verwundern tut das kaum.
Gerade vor dem Hintergrund der zugegebenen Falschaussagen, ist für uns der Umgang des Gerichtes mit den Neonazizeug*innen unverständlich. So hatten diese immer wieder die Gelegenheiten sich vor ihren jeweiligen Aussagen und während der Verhandlungsunterbrechungen zu besprechen. Laut der Zeugin A. Vaupel war es ihr und den anderen Zeug*innen möglich sich im so bezeichneten „Zeugenschutzraum“ trotz der Anwesenheit von Justizbeamt*innen und teilweise auch Polizist*innen untereinander auszutauschen – und das trotz gegenteiliger Anordnungen und trotz dessen, dass die Verteidigung mehrmals auf das Problem hingewiesen hat. Nach eigenen Aussagen hätten die Neonazizeug*innen dabei keineswegs nur über das Wetter, die Gesundheit der Oma und die schlimmen Linken geredet, sondern ebenfalls den Prozess und die eigenen Aussagen betreffende Gespräche führen können. Selbiges zeigt sich nun übrigens auch im zweiten Komplex des Sammelprozesses, der am 11.01.2016 begann. Das Gericht scheint nicht dazu gelernt zu haben. Aber dazu ein anderes Mal.
Während die Neonazis als Zeug*innen sich also relativ frei unterhalten und bewegen konnten, wurden für uns als Prozessbegleiter*innen immer schärfere Sicherheitsmaßnahmen verhängt. So musste jede*r, die*der ins Gericht wollte, eine überzogene Eingangskontrolle über sich ergehen lassen. Ab dem 2. Prozesstag wurde es auch verboten neben dem Handy sein eigenes Getränk und anderen Proviant, seine Jacke oder auch nur irgendetwas anderes außer Zettel und Stift mit in den Prozesssaal zu nehmen – und diese mussten erst einmal durchleuchtet werden. Zum Durchleuchten der Sachen und einem Durchqueren des Metalldetektors kam auch bei fehlender Reaktion des Gerätes, ein komplettes Abtasten durch die Mitarbeiter*innen der Justiz dazu. Wollte man in den Unterbrechungen etwas trinken, essen oder eine rauchen, musste man das Ganze von neuem über sich ergehen lassen. Außerdem wurde der Kaffeeautomat des hiesigen Gerichtes in Bückeburg zum wahrscheinlich best-bewachtesten des ganzen Landes – in der Regel befand sich eine 4-6 köpfige Polizeikette auf dem Weg zum Durchgang in Richtung des Kaffeeautomaten, so dass selbst die Verteidigung nicht einmal die Möglichkeit hatte ohne größeren Aufwand in den langen Verhandlungspausen einen Kaffee oder ein anderes Getränk zu bekommen.
Insgesamt können die Angeklagten und die Unterstützer*innen sicherlich zufrieden sein mit dem Ausgang des Prozesses und die Staatsanwaltschaft wird vermutlich noch ein paar Tage länger damit unzufrieden sein, dass die für sie so glasklar erscheinende Anklage nach und nach zerbröckelte und schließlich wie ein Kartenhaus zusammengefallen ist.
Was aber viel wichtiger ist als die Freude über den glimpflichen Ausgang dieses Prozesses und den kleinen Erfolg, dass bestimmte Absprachen und Falschbezichtigungen ans Tageslicht gekommen sind, ist die Verfolgung dessen, was aus dem Geschehenen folgt. So stellt sich die Frage, welche Konsequenz hat das Aufdecken der Absprachen und Falschaussagen der Neonazis von Seiten der Justiz – wird es zu Verhandlungen bezüglich der Falschaussagen kommen? Wird es Konsequenzen für die ermittelnden Beamt*innen geben? Wird die Staatsanwaltschaft vielleicht erneute (Nach)ermittlungen anstellen, um bei den nächsten oder weiteren Prozessen eine solche Niederlage auszuschließen? Ist es ggf. schon die Folge von solchen Nachermittlungen, dass für den nächsten, gerade begonnen Prozesskomplex einer der Angeklagten bereits im Vorfeld aus der Anklageschrift heraus genommen wurde? Wie können wir in der Öffentlichkeit darauf hinarbeiten, dass die falschen Darstellung und Denunzierungen einzelner Antifaschist*innen revidiert werden und der Blick darauf, was in den Jahren 2010 bis 2013 in Bückeburg passierte, ein anderer wird?
Auch wenn für uns der Prozess einige Überraschung bereit hielt, sind wir keineswegs schockiert darüber, dass Neonazis mit Absicht falsch aussagen, um Antifaschist*innen zu belasten; es wundert uns nicht, dass die Polizei und Justiz trotz eindeutiger Sachverhalte nicht zu unseren Gunsten ermittelt, sondern alles versucht um antifaschistischen Selbstschutz, um linke Politik zu kriminalisieren; wir kennen bereits das systematische Herunterspielen des „Neonazi-Problems“ und wissen auch, dass das alles so weitergehen wird. Der Kampf ist noch nicht vorbei!
Wir werden weiter die Prozesse in Bückeburg begleiten und weiter dem rechten Sumpf in Bückeburg etwas entgegensetzen. Uns ist lange klar, dass ein solches systematisches Herunterspielen des “Neonazi-Problems“ und die Kriminalisierung antifaschistischen Widerstandes, so wie es in Bückeburg seit Jahren geschieht, nicht von irgendwoher kommt. Denn rassistische und sozialchauvinistische Einstellungen sind kein Privileg von Neonazis, sie werden vielmehr von der Mehrheit der Bevölkerung mitgetragen. Dieser Grundeinstellung folgend, verhalten sich auch die staatlichen Organe so, dass sie die Opfer zu den eigentlichen Täter*innen machen. Dass der Feind in Deutschland links steht, hat Tradition. Schon lange vor dem NSU waren alte Nazis für die westdeutsche Polizei und Justiz tätig und wurden rechte Mörder als V-Leute angeheuert. Neonazis sind an allen Orten der Gesellschaft eine Gefährdung für Menschen, die nicht in ihr menschenverachtendes Weltbild passen. Gewalt ist schließlich ein zentraler Teil faschistischer Ideologie, friedliche Nazis gibt es nicht. Die Ideologie der Nazis, die sich „fremdrassige“ Menschengruppen imaginiert, die durch ihre reine Existenz den „deutschen Volkskörper“ schädigen würden, bietet in ihrer logischen Konsequenz keinen anderen Ausweg, als dass jene „volksschädlichen Elemente“ ausgelöscht werden. Dabei sind Neonazis nur die konsequente Fortsetzung einer bürgerlichen Politik und des spaltenden Stammtisch-Rassismus. Trotz des Bedrohungsszenarios, das Neonazis für Migrant*innen und viele andere darstellen, ist ein treibender Akteur des Rassismus in Deutschland der Staat. In umfassendem Ausmaß betreibt er eine mörderische Politik der Abschreckung, gegen alle, die hier Asyl suchen.
Die außerparlamentarische Linke steht, scheinbar im krassen Gegensatz zur neofaschistischen Rechten, verstärkt im Fokus von Verfassungsschutz & Co. Die sogenannte „Extremismusklausel“ von Bundesfamilienministerin Schröder fixiert die nicht nur wissenschaftlich unhaltbare Gleichsetzung von Links und Rechts und knüpft die Vergabe von staatlichen Geldern an ein Bekenntnis zum Grundgesetz. Sie zielt darauf ab, die Arbeit linksradikaler Antifa-Gruppen massiv zu erschweren. Jedoch sind es vielerorts gerade jene, die in Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Akteur*innen effektive Arbeit gegen Neonazis leisten.
Zitat Katharina König, Landtagsabgeordnete in Thüringen: „Wenn die Landesregierung keine Ahnung hat, soll sie halt die Antifa fragen.“ Dem können wir uns nur anschließen. Dass die Antifa fundamentale gesellschaftliche Ursachen für Neonazi-Gewalt benennt, ist dem deutschen Staat ein Dorn im Auge.
Nichts desto trotz geben wir nicht auf. Wir erklären uns solidarisch mit den Betroffenen von rechter Gewalt, wir wenden uns gezielt gegen Repression und Unterdrückung, wir rufen dazu auf, weiter aktiv und entschlossen gegen Neonazis vorzugehen, wir wenden uns gegen Institutionen und Behörden, die Teil des Problems sind, wir wissen dass verkürzte Analysen und Parolen diese Probleme nicht lösen werden, sondern unser Widerstand so vielfältig sein muss, wie die nationalistischen, rassistischen, antisemitischen, kapitalistischen, sexistischen und sonst wie widerwärtigen Verhältnisse, die uns unterdrücken!
Und selbstverständlich werden wir den im zweiten Prozesskomplex (nähere Infos folgen) zu Unrecht verurteilten Antifaschisten so gut unterstützen wie es geht. Niemand ist Alleine, nur gemeinsam können wir auf die deutschen Zustände aufmerksam machen und sie bekämpfen.
Wir als Solidaritätskreis, sowie die Betroffenen, bedanken uns an dieser Stelle bei allen Unterstützer*innen, Spender*innen und Helfer*innen für die breite Solidarität. Die Betroffenen gaben an, dass es ihnen Kraft gegeben hat, dass im Laufe der Prozesstage so viele verschiedene Menschen da waren und sie unterstützt haben. Vor allem das Gefühl einer kritischen Öffentlichkeit gab ihnen ein gutes Gefühl. Es ist wichtig, auch weiterhin Präsenz zu zeigen und klar zu machen, dass wir unsere Genoss*innen nicht alleine lassen. Eine kritische Öffentlichkeit ist gerade vor dem Hintergrund, dass schon mehrere Neonazizeug*innen Falschaussagen zur Belastung der Antifaschist*innen zugegeben haben und der fragwürdigen Ermittlungsmethoden der Bullen, wichtig.
Wir möchten auch noch einmal darauf hinweisen, dass wir immer noch eine Menge Spenden benötigen, um die Anwaltskosten finanzieren zu können. Zudem ist gerade der zweite Komplex der Sammelprozesse in Bückeburg beendet worden, leider nicht so erfolgreich wie der erste Prozess. Auch stehen noch weitere, noch nicht datierte Prozesse an.
Deutschland – ein Land kotzt sich aus,
einen alten braunen Brei.
Seh’ ich aus dem Fenster, wird mir übel von dieser Heuchelei.
Alle schauen sich hilflos um und wissen nicht warum
und in welchen Löchern die Ratten lagen, die hier marschieren und losschlagen.
Doch sie lagen nicht in Löchern rum, oft sahen wir sie auf der Straße gehen
und sie grüßten dich mit gestrecktem Arm, du hast einfach weggesehen.